© Marcel Burkhardt
Mittelspecht
Merkblätter & Aktionsplan
Mittelspecht – der Specht der Eichenwälder. Artenförderungs-Merkblatt.
Koenig, A. (2013)
Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz, Zürich
Methodische Anleitung zur Erfassung des Mittelspechts in der Schweiz.
Müller, W., G. Pasinelli & U. Rehsteiner (2011)
Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz, Zürich
Aktionsplan Mittelspecht Schweiz.
Pasinelli, G., Weggler M., Mulhauser B. (2008)
Bundesamt für Umwelt, Schweizerische Vogelwarte, Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz, Bern, Sempach & Zürich
Elemente für Artenförderungsprogramme Vögel Schweiz
Die folgenden Informationen basieren auf dem Bericht von Spaar et al. (2012).
1. Hintergrundinformationen
Aktuelle Entwicklung von Verbreitung und Bestand
Die Brutverbreitung liegt schwerpunktmässig unterhalb von 600 m ü.M., hat sich aber in den letzten Jahren punktuell bis gegen 800 m ü.M. ausgedehnt und erstreckt sich vom Genfersee entlang des Jurasüdfusses bis zum Bodensee. Gemäss systematischen Kartierungen befinden sich die grössten Vorkommen im nördlichen Kanton Zürich mit ca. 240 Brutpaaren (im Jahr 2008), im Kanton Jura (primär in der Ajoie) mit 125–150 (2011), im Kanton Neuchâtel mit 100–150 (2003), im Kanton Aargau mit 113–129 (2008–2010) und im Kanton Thurgau mit 87–109 (2005). Die Bestände in den anderen Kantonen belaufen sich auf mind. 160 Brutpaare, wobei diese Zahl wohl (deutlich) höher liegen dürfte, da dort bisher kaum flächendeckende systematische Kartierungen gemacht wurden. Der gesamte Brutbestand wird in der Schweiz auf gegenwärtig mind. 800–1000 Brutpaare geschätzt.
Das Verbreitungsgebiet hat sich seit den 1950er-Jahren deutlich verändert, indem einerseits viele Brutplätze südlich der Verbreitungsschwerpunkte Jurasüdfuss – Jura AG/BL – nördliches ZH-SH und Seerücken verschwanden und sich andererseits seit den 1990er-Jahren gewisse Verbreitungslücken schliessen.
Gesamtschweizerisch scheinen die Bestände seit den 1990er-Jahren zugenommen zu haben. Diese Zunahmen gehen wohl einerseits auf gezielte Kartierungen zurück (AG, GE, NE, JU, TG, ZH). Andererseits könnten die Mittelspechte von der Alterung der Wälder und der Zunahme an stehendem Totholz wie auch von den Artenförderungsmassnahmen (z.B. im Kanton Zürich) profitiert haben. Nicht auszuschliessen ist ferner ein positiver Einfluss der Klimaerwärmung.
Lebensraumansprüche
Der Mittelspecht gilt als ausgesprochener Habitatspezialist, dessen Verbreitung eng an das Vorkommen alter, totholzreicher Laubwälder mit grobborkigen Baumarten, vor allem Eichen, gebunden ist. Neben grobborkigen Altbäumen, die für den Nahrungserwerb genutzt werden, sind zur Anlage der Bruthöhle geeignete Bäume verschiedener Arten (mit Baumpilzen, Astlöchern, alten Höhlen etc.) in ausreichender Menge die zweite wichtige Ressource in Mittelspecht-Habitaten. Die Art besiedelt heute schwergewichtig Überreste ehemaliger Mittelwälder (Eichen-Hagebuchenwald) mit zahlreichen Alteichen. Es werden auch eichenärmere Wälder mit hohem Totholzanteil, lokal sogar eichenlosen Waldbestände besiedelt. Voraussetzung ist, neben einem hohen Angebot an stehendem Totholz, entweder überdurchschnittliches Alter von Buchen (>300 Jahre), die grobborkig werden, oder das Vorhandensein anderer grobborkiger Baumarten in hoher Dichte (z.B. Erlen).
In Deutschland kommt der Mittelspecht auch in Hochstammobstgärten in hoher Dichte vor. Bis in die 1950er-Jahre war dies auch in der Schweiz der Fall. Vereinzelt nutzt die Art dieses Habitat auch in der Schweiz heute noch als Brut- und Nahrungsbiotop. Die grössere Bedeutung kommt ihm aber als Trittsteinbiotop für dispergierende Vögel zu.
Gefährdung
Umwandlung von Laub- und Mischwäldern in Nadelmischwälder mit einer Reduktion des Eichenanteils, Überführung von ehemaligen Mittelwälder in Hochwälder, Einwachsen anderer Bäume (z.B. Buchen, Hagebuchen) in die Eichenkronen und selektive Entfernung von Alteichen und stehendem Totholz in Laubwäldern. Viele bestehende Mittelspechthabitate sind forstwirtschaftlich gesehen erntereif, d.h. ihr Fortbestand ist nicht gesichert. Zudem verlangt die Eiche eine grossflächige Verjüngung, die kaum mehr gefördert wird. Führt die Umwandlung bzw. Zerstörung geeigneter Habitate zu zunehmender Isolation besiedelter Lebensräume, wird der Austausch von Individuen erschwert.
Limitierende Faktoren
Naturnahe, artenreiche Laub(misch)wälder mit hohem Eichenanteil, grobborkigen Altstämmen und stehendem Totholz und einer Mindestfläche von 10 ha (1 Paar) beziehungsweise 100 ha (Population mit ca. 10 Paaren) im Abstand von maximal drei Kilometern von bestehenden Vorkommen.
Perspektive
Die verfügbaren Unterlagen weisen auf einen insgesamt stabilen bis zunehmenden Bestand hin. Allerdings sind viele vom Mittelspecht besiedelte Wälder forstwirtschaftlich gesehen erntereif. Der Mittelspechtbestand wird sich nur halten können, wenn diese Wälder bewahrt werden, bis die heutigen jungen Eichenbestände besiedelbar werden. Die Entfernung von Eichen und damit die Verringerung der Eichendichte wirken sich negativ auf die Siedlungsdichte aus. Im Auge zu behalten sind die mit der Umwandlung von Mittelspechthabitaten einhergehende Isolation und die Erhaltung der Lebensraumqualität insbesondere in den Verbreitungsschwerpunkten im Zusammenhang mit der Entnahme von Alteichen (Wertholz) sowie von qualitativ minderwertigen Bäumen (Energieholz). Um die in den letzten Jahren günstig verlaufende Bestandsentwicklung nicht zu gefährden, sollten die Artenförderungsprojekte mit mindestens derselben Intensität weitergeführt werden.
Schutzstatus
Rote Liste CH: NT, potenziell gefährdet
Priorität CH: B2, potenzielle gefährdete Art mit geringer internationaler Verantwortung der Schweiz
Konventionen: Berner Konvention: streng geschützt (Anhang 2)
2. Laufende Aktivitäten, Erfahrungen aus Schutz und Forschung
Laufende Schutzmassnahmen und Programme
Im Rahmen des NFA haben mindestens acht Kantone mit finanzieller Unterstützung des BAFU Massnahmen gemäss dem Aktionsplan Mittelspecht Schweiz ausgeführt. Weitere Kantone haben teilweise Eichenförderungsprogramme implementiert, die dem Mittelspecht ebenfalls zugutekommen.
Forschungsprogramme
- Kartierungen der Bestände in BE, BL, BS, FR, SO und ZH als Grundlagen für Förderung und Erfolgskontrolle sind unter der Leitung der SVS-Kantonalverbände und in Zusammenarbeit mit der Koordinationsstelle und anderen Partnern in Arbeit.
- Jährliche Bestandserhebungen im Zürcher Unter- und Weinland (J. Bühlmann).
- Jährliche Kartierung der Bruthöhlen von Mittel- und Buntspecht im Niderholz, Kanton Zürich, seit 1994 (B. Miranda, G. Pasinelli).
- Genetische Untersuchung zur Vernetzung von Mittel- und Buntspechtpopulationen in der Schweiz (Schweizerische Vogelwarte).
- Kartierung der Bestände im Kanton Jura (Frühling 2011) als Basis für einen kantonalen Aktionsplan. Die Kartierung ermöglicht die Ausscheidung wichtiger Gebiete für Artenförderungsmassnahmen.
Bekannte Artenförderungsmassnahmen national und international
- Nachhaltige Nutzung bzw. flächige Erhaltung von Alteichenwäldern.
- Erhaltung und Neuschaffung von Mittelwäldern.
- Generell: Erhöhung der Umtriebszeiten und des Anteils an stehendem Totholz in Eichenwäldern, aber auch in anderen Laubwäldern.
- Neupflanzung von Eichen ausserhalb von Eichenwäldern.
- Schaffung von Sonderwaldreservaten von mind. 10 ha Grösse.
- Mittelspecht-Förderung ist primär eine Aufgabe auf Stufe Wald(entwicklungs)planung (WEP), weil generell die Bewirtschaftung der Wälder bedeutend ist. Zunächst muss die Eichendichte sowie die Dichte potenzieller Höhlenbäume ermittelt werden, um den Einfluss der vorgesehenen Massnahmen abschätzen zu können.
- Vernetzung bestehender und potenzieller Lebensräume, z.B. im Rahmen von Landschaftsentwicklungskonzepten (LEK).
Notwendige Projekte (Artenförderung, Forschung, Monitoring)
- Monitoring der bestehenden Bestände basierend auf Kartierungsanleitung.
- Gezielte Kartierungen der Bestände in den Kantonen NE, SH, VD.
- Erfolgskontrolle von Artenförderungsmassnahmen.
- Ermittlung des Bruterfolgs in den Vorkommensschwerpunkten.
- Möglichst grossflächige (Wieder-)Herstellung und Vernetzung von Wäldern mit hohem Eichenanteil.
- Förderung der Eiche, Altbäume, potenzielle Höhlenbäume und Totholz stehen lassen.
- Regeneration von Auenwald.