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© Marcel Burkhardt
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Braunkehlchen
Elemente für Artenförderungsprogramme Vögel Schweiz
Die folgenden Informationen basieren auf dem Bericht von Spaar et al. (2012).
1. Hintergrundinformationen
Aktuelle Entwicklung von Verbreitung und Bestand
Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts brütete das Braunkehlchen im Mittelland nur noch vereinzelt. In den Graslandschaften des Juras und der Alpen war es jedoch ein noch weit verbreiteter Brutvogel. Der Rückgang im Mittelland setzte sich weiter fort, und zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren verschwand das Braunkehlchen praktisch gänzlich aus dem Mittelland, und auch in den Nord- und Zentralalpen nehmen die Bestände ab.
Lebensraumansprüche
Das Braunkehlchen bevorzugt extensiv bewirtschaftete, strukturreiche Heu- und Riedwiesen, die spät und höchstens zweimal im Jahr geschnitten werden. Häufig ist das Gelände in Braunkehlchenhabitaten leicht bis mittelstark gegliedert. Die höheren Strukturen, z.B. überstehende Kräuter wie die Wiesenkerbel, nutzt das Braunkehlchen als Jagd- und Singwarten. Alpweiden werden ebenfalls besiedelt, aber meist in geringer Dichte. Die Erstbruten sind zwischen Ende Juni (in tieferen Lagen) bis Mitte Juli (in höheren Lagen) flügge.
Gefährdung
Intensivierung der Nutzung in verbliebenen Brutbiotopen, Umwandlung von Heuwiesen in Weiden bzw. langfristige Vergandung und Wiederbewaldung. Die Intensivierung der Grünlandnutzung bewirkt dichtere, strukturarme Pflanzenbestände, frühere und häufigere Mahd, geringere Wirbellosenvielfalt und -abundanz, sowie schlechtere Erreichbarkeit der Beutetiere. Der Rückgang in der Nordalpenzone war eng gekoppelt mit dem Aufkommen der Silage. Eine ähnliche Entwicklung wird heute auch in den Zentralalpen, z.B. im Engadin, beobachtet.
Limitierende Faktoren
Angebot an extensiv genutzten, strukturreichen Wiesen mit erstem Grasschnitt je nach Höhenlage nicht vor Anfang bis Ende Juli. Gutes Insektenangebot. Genügende Dichte von Warten, bereits zum Zeitpunkt der Revierbesetzung.
Perspektive
Weil in den Niederungen trotz der Umsetzung des ökologischen Ausgleichs kaum grossflächig strukturreiche Wiesen mit spätem Mahdtermin angelegt werden, wird es hier allenfalls punktuell zu Ansiedlungen von Einzelpaaren kommen. Im Alpenraum gehen weiterhin in den einen Gebieten wegen Nutzungsintensivierung, in anderen durch Vergandung Braunkehlchenhabitate verloren. Die kritische Situation der Art wird sich ohne Artenförderungsprogramm noch verschlechtern.
Schutzstatus
Rote Liste CH: VU, verletzlich
Priorität CH: B2, gefährdete Art mit geringer internationaler Verantwortung der Schweiz
Konventionen: Berner Konvention: streng geschützt (Anhang 2)
Bonner Konvention: wandernde Vogelart, für die Abkommen zu schliessen sind (Anhang 2)
2. Laufende Aktivitäten, Erfahrungen aus Schutz und Forschung
Laufende Schutzmassnahmen und Programme
Im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Vogelwarte und dem SVS/BirdLife Schweiz läuft eine schweizweite Kampagne zur Förderung des Braunkehlchens, und in verschiedene Regionen werden Förderungsprojekte mit Partnern durchgeführt (u.a. Engadin: Unterengadin, Bever; Wallis: Goms; Freiburger Voralpen: Intyamon; Neuenburger Jura: Les Ponts-de-Martel; Berner Jura: Plateau de Diesse, Renan, Tessin: Dötra und Anveuda). Die Projekte sind teilweise mit landwirtschaftlichen Vernetzungsprojekten gekoppelt, teilweise finden sie im Rahmen von kantonalen Artenförderungsprogrammen statt.
Forschungsprogramme
- Die Bestandsentwicklung des Braunkehlchens wird im Rahmen der Überwachungsprojekte der Schweizerischen Vogelwarte verfolgt.
- Eine Diplomarbeit in Ramosch (Schweizerische Vogelwarte, Universität Zürich) zeigte, dass kleine, spätgeschnittene Wiesenflächen den Bruterfolg nicht entscheidend verbessern, da viele Nester ausserhalb der Restflächen angelegt werden und ein Teil der Braunkehlchen, vor allem Weibchen, nach dem Verlust der Brut abwandert. Ein Teil der brütenden Braunkehlchen-Weibchen wird auf dem Nest sitzend vermäht (2 von 20 telemetrierten Weibchen).
- In Bever wurde auf der grossen Gemeindeweide ein braunkehlchenfreundliches Weideregime getestet, wobei einzelne, abgezäunte. Flächen aus der Beweidung genommen wurden und den Braunkehlchen ermöglichen sollten, auch die offenen, sehr strukturarmen Bereiche zu besiedeln und erfolgreich zu brüten. Trotz der Massnahmen nahm der Bestand in Bever weiter rapide ab.
- Eine Masterarbeit im Goms untersuchte die Brutphänologie der Braunkehlchen. Diese richtete sich nicht nach dem Talverlauf, sondern widerspiegelte eher die Rückkehr der Altvögel. Die extensiv bewirtschafteten Gebiete wiesen höhere Brutpaardichten auf und wurden eher früher besiedelt, wobei es auch dort zu späteren Bruten kam.
Bekannte Artenförderungsmassnahmen national und international
- Die Erkenntnisse aus den verschiedenen Förderungsprojekten wurden 2008 in einer Übersichtspublikation im Ornithologischen Beobachter publiziert und machen deutlich, dass Bestände nur mit einer grossflächigen und angepassten Bewirtschaftung geeigneter Wiesen erhalten werden können. Entscheidender Faktor ist eine späte Mahd, frühestens ab dem 10. Juli, besser erst ab dem 15. Juli (gleichzeitig auch frühester Mahdtermin der Ökowiesen in den Bergzonen III und IV). Die erste Mahd sollte frühestens 10 Tage, besser erst 2 Wochen nach dem Ausfliegen der Jungvögel stattfinden.
- Für kleine Populationen ist der direkte Schutz von Nestern eine zwar sehr aufwändige, aber wirksame und, zeitlich begrenzt, notwendige Massnahme (5 vor 12-Massnahme). Dabei werden gefundene Nester markiert und eine definierte Fläche rund um das Nest spät geschnitten oder ausgezäunt (Quadrate von 20 bis 30 m Seitenlänge, in Einzelfällen und als absolutes Minimum 10x10 m). Langfristig wirksam ist der direkte Schutz von Nestern aber nur in Kombination mit ökologischen Vernetzungsprojekten, welche in Braunkehlchengebieten späte Schnitttermine festlegen und so Brut- und Nahrungsgebiete sichern.
Notwendige Projekte (Artenförderung, Forschung, Monitoring)
- Weitere Evaluation von Förderungsmassnahmen in Kernflächen.
- Extensivierung möglichst grosser Flächen im Rahmen des ökologischen Ausgleichs und von speziellen Förderungsprogrammen.
- Angewandte Forschung zu den Förderungsmassnahmen weiterführen, welche eine Stabilisierung bzw. Erholung der Bestände unter den heutigen landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ermöglichen.